zurück zur Übersicht
 |    | 
  • News
  • Wirtschaft & Arbeitsmarkt

«Die Aufgaben der Wissensarbeit erfordern sowohl Deep Work als auch Deep Collaboration.»

Im Rahmen ihrer neuen Studie befragt die plattform renommierte Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Bildung und Forschung zum Potenzial von New Work in der Gesellschaft. Prof. Dr. Hartmut Schulze, Dozent und Forscher an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz, erklärt die Bedeutung neuer Technologien und die Folgen hybrider Arbeitsformen.

Was bedeutet für Sie «menschenzentriertes Arbeiten»? 

Menschzentrierte Gestaltung zielt darauf ab, Systeme so zu gestalten, dass die späteren Nutzenden mit ihnen ihre Aufgaben effektiv und effizient bewältigen können. Dabei soll die Interaktion mit dem System «bedienungsfreundlich» und fehlerfrei vonstattengehen und die Nutzung des Systems auch Freude bereiten. 

Menschengerecht ist eine Arbeit dann, wenn sie grundsätzlich ausführbar ist, wenn die Tätigkeit zu keinen gesundheitlichen Schäden oder psychischen Beeinträchtigungen führt und wenn sie unterstützend bei der Bewältigung von Aufgaben «persönlichkeitsförderlich» ist. Als persönlichkeitsförderlich werden Arbeitsinhalte bezeichnet, die sich durch Vielfalt, Ganzheitlichkeit und Autonomie auszeichnen und gleichzeitig soziale Interaktion ermöglichen und Sinn sowie Wertschätzung bieten. Diese auch «Humankriterien» genannten Grundsätze guter Arbeit sind mittlerweile auch in einschlägigen Normen (DIN EN ISO) verankert und werden u.a. zur Gefährdungsbeurteilung von Arbeitstätigkeiten herangezogen.

«Wandel von industrieller Arbeit zur Wissensarbeit geht einher mit einer Verlagerung von hauptsächlich physischen hin zu psychischen Belastungen.»

Die beträchtliche Unabhängigkeit der Wissensarbeit von fixen Arbeitsorten hat zu einer starken Zunahme räumlich-zeitlicher Autonomie und damit zu mehr Selbstbestimmung, aber auch zu grösseren Anforderungen an Selbstmanagement und Selbstdisziplin geführt.

Sind neue Technologien dafür eher förderlich oder hinderlich? 

Nach meinen Erfahrungen erfolgt der Entwicklungs- und Gestaltungsprozess neuer Technologien häufig nach einem eingeschränkten menschzentrierten Ansatz. Zwar wird auf die grundsätzliche Bedienbarkeit technischer Systeme eher mehr Wert gelegt als noch vor 10 Jahren, eine gezielte Unterstützung des Menschen im Arbeitsprozess steht jedoch häufig nicht im Mittelpunkt. Die Entwicklung und die Implementierung neuer Systeme erfolgen noch immer stark technikgetrieben. Das heisst, man schaut, welche Aufgaben eine Technologie übernehmen kann. In diesem Konzept bleibt dem Menschen häufig nur die Rolle des Lückenbüssers. 

Auch bei aktuellen Technologien wie z.B. beim Chat GPT steht der technikorientierte Ansatz im Vordergrund. Es ist interessant zu sehen, wie zuerst eine freiverfügbare Technologie angeboten wird und nun verschiedenste Institutionen aus der Bildung (z.B. Schulen und Hochschulen) aber auch aus der Gesundheit (z.B. der ärztliche Chatbot) und dem Beratungsgewerbe (z.B. Beratung-Chatbots) gezwungen sind, Konzepte zu entwickeln, wie man diese Technologien verantwortungsbewusst einsetzt und damit umgeht. Die Rolle, die der Mensch hier zukünftig einnehmen soll und die Auswirkungen, die dies auf unser «Menschsein» haben kann, werden also erst nach der Entwicklung der Technologie konzipiert oder thematisiert. Somit ist der Entwicklungsprozess bei ChatGPT wenig menschenzentriert vorangetrieben worden. Inwieweit der Einsatz solcher Technologien dann insbesondere der Entwicklungs- und Persönlichkeitsförderlichkeit entsprechen wird, kann aktuell noch nicht abschliessend bewertet werden.

Welchen Stellenwert wird die Erwerbsarbeit in Zukunft haben? 

Erwerbsarbeit wird meiner Ansicht nach auch in Zukunft eine hohe Bedeutung haben. Zum einen wird sie auch zukünftig die Grundlage bieten, den Lebensunterhalt zu sichern. Zum anderen sollte auch die Bedeutung von Erwerbsarbeit für das gesellschaftliche Leben und die erlebte Anerkennung nicht unterschätzt werden.

«Grundmotivationen wie Autonomie, das Erleben von Kompetenz und die soziale Einbindung werden noch immer in grossen Anteilen über die Erwerbsarbeit vermittelt.»

Andere Formen der Arbeit wie z.B. Freiwilligenarbeit oder auch New Work stellen noch immer eher Ergänzungen der Erwerbsarbeit dar. Ich würde da auf die Selbstbestimmungstheorie nach Ryan und Deci (2000) verweisen. Die sagt, dass uns Menschen drei Grundbedürfnisse und -motivationen auszeichnen: Autonomie, Kompetenz und soziale Teilhabe.

Autonomie bedeutet zum Beispiel, dass man in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Dass man selbst Entscheidungen treffen kann. Kompetenz bedeutet, dass man seine eigene Kompetenz erleben kann und deshalb ist es wichtig, auch wenn wir von der Notwendigkeit der Erwerbsarbeit absehen, dass man sich als kompetent erleben kann. Die soziale Teilhabe ist zentral für uns als Menschen. Dabei kann das bedingungslose Grundeinkommen eine negative und gar nicht gewollte Botschaft haben, nämlich: «Ja, du bist uns wichtig, aber du trägst nicht mehr bei zum eigentlichen Wichtigen in der Gesellschaft, deshalb erhältst du jetzt das bedingungslose Grundeinkommen.» Es müsste gleichberechtigt bewertet werden, mit denjenigen, die dafür Sorge tragen, dass das bedingungslose Grundeinkommen auch erwirtschaftet wird.

Welchen Stellenwert hat Form und Funktion des Arbeitsplatzes für die New Work? 

Im Rahmen von Wissensarbeit haben sich Aufgaben und Tätigkeiten stark verändert. Es handelt sich sehr häufig um anspruchsvolle Tätigkeiten, die zunehmend analytische, kreative und innovative Anteile beinhalten. Die Aufgaben erfordern sowohl Deep Work (konzentrierte Stillarbeit) als auch Deep Collaboration (intensive, co-kreative Zusammenarbeit, häufig in Meetings und Workshops aber ebenso in Form von informellem Austausch quasi «nebenbei»). Diese Tätigkeiten stellen verschiedene Anforderungen an die Arbeitsplätze. In diesem Zusammenhang sprechen wir eher von Arbeitsmöglichkeiten. Damit wird betont, dass es zukünftig weniger um einen einzigen bestimmten Arbeitsplatz geht, sondern um das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Arbeitsmöglichkeiten. Versteht man unter New Work die örtliche, zeitliche und vor allem auch eine Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen, so gewinnen Arbeitsmöglichkeiten bei verschiedenen Arbeitgebenden und Organisationen sowie die an dritten Orten, z.B. in Co-Working-Spaces oder im Homeoffice, noch weiter an Bedeutung.

Wie kann ein Arbeitgeber sinnstiftendes Arbeiten fördern?

Sinnstiftende Arbeit kann meines Erachtens vor allem über den Arbeitsinhalt und die Beteiligung von Mitarbeitenden an wesentlichen strategischen und operativen Entscheidungen der Organisation gefördert werden. In diesem Zusammenhang ist u.a. die wahrgenommene Gerechtigkeit firmeninterner Prozesse wichtig. Dazu gehört z.B. die Laufbahnentwicklung, die Strategie- und Portfolioentwicklung aber auch Aspekte wie Nachhaltigkeit und das Selbstverständnis der Organisation bezüglich der Werten der Mitarbeitenden. 

Welche Folgen hat ein Wechsel auf hybrides Arbeiten? 

Die Vorteile eines hybriden Arbeitsprofils gegenüber einer reinen Präsenz- oder einer reinen Fernarbeit wurden kürzlich in einer randomisierten Kontrollstudie von Bloom et al. (2022) nachgewiesen. Die Autoren konnten 1612 Ingenieure, Marketing- und Finanzangestellte eines grossen Technologieunternehmens nach dem Zufallsprinzip zwei Bedingungen zuweisen: Zum einen konnten sie Arbeitnehmende mit ungeraden Geburtstagen zwei Tage im Homeoffice und drei Tage vor Ort arbeiten lassen. Diejenigen mit geraden Geburtstagen arbeiteten ganztags im Büro. Die Ergebnisse dieses Feldexperiments sind beeindruckend: Nach einem Zeitraum von sechs Monaten war die Fluktuationsrate in der Gruppe mit zwei Tagen Homeoffice (und drei Tagen Arbeit vor Ort) um 35 % gesunken. Auch wies diese Gruppe im Vergleich zur Gruppe, die Vollzeit im Büro arbeitete, eine höhere Arbeitszufriedenheit auf und war etwas leistungsfähiger. Die Ergebnisse legen nahe, dass hybride Arbeitsformen mit einem passenden Mix aus Arbeit vor Ort und an anderen Orten wie z.B. Homeoffice sowohl für die Beschäftigten als auch für die Unternehmen von Vorteil sind. Die Autoren der Studie schliessen dann auch mi dem Motto «Hybrid Work is here to stay». Gestaltungsrelevant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wie das Verhältnis zwischen der Arbeit vor Ort und an anderen Orten jeweils zu gestalten ist. 

Jahresthema 2023: New Work 

Gemeinsam mit zahlreichen Expertinnen und Experten erkundet die plattform im Jahr 2023 das Potenzial von New Work in der heutigen Gesellschaft und identifiziert allfälligen Handlungsbedarf für Politik und Wirtschaft. Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus dem Gespräch mit Milan Glatzer. Ein vollständiger Ergebnisbericht sowie konkrete Policy-Empfehlungen werden im Winter 2023 vorliegen.

Zur Person 

Prof. Dr. Hartmut Schulze ist seit 2006 als Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW angestellt. Von September 2011 bis März 2021 leitete er das Institut für Kooperationsforschung und -entwicklung. Seine inhaltlichen Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in der Analyse, Gestaltung und Evaluation von Konzepten und Lösungen zu Arbeits- und Büroräumen, zu mobil-flexibler Arbeit und zur Mensch-Roboter-Interaktion. Ein übergreifendes Anliegen in seiner Arbeit ist die Beteiligung der späteren Nutzenden an der Entwicklung sozio-technischer Lösungen. 

nach oben